Die Zäune gegen die Afrikanische Schweinepest haben starke negative Auswirkungen auf Brodowin und seine Umgebung. Wir wenden uns an Ministerin Ursula Nonnemacher und Minister Axel Vogel, um die Verhältnismäßigkeit zwischen den Belangen von Natur, Landschaft, Landnutzer:innen und dem Seuchenschutz einzufordern. Lesen Sie hier unsere Einschätzung und Forderungen in einem offenen Brief an die Minister:innen.
Sehr geehrte Frau Ministerin Nonnemacher, sehr geehrter Herr Minister Vogel,
ein immer größer werdendes Wirrwarr von Hunderten Kilometern von Zäunen gegen die Afrikanische Schweinepest (ASP) verschandelt unsere einzigartige Landschaft, zerschneidet geschützte und schutzwürdige Lebensräume und beeinträchtigt Tiere und Menschen im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin.
Ein Ende scheint nicht in Sicht zu sein.
Schon allein die entlang von Oder und Neiße jetzt sogar doppelt gezogenen „Schutzzäune“ entfalten eine fatale Symbolik, die dem Gedanken eines offenen gemeinsamen Europas widerspricht und das Gespenst des Denkens in Grenzen wieder heraufbeschwört. Zudem hat die Verzäunung verheerende Folgen insbesondere für wildlebende Tierpopulationen von Arten, die diese Zäune nicht überwinden können, z.B. Fischotter, Biber, Dachs und Feldhase. Heute gilt die Landschaftszerschneidung als eine der wichtigsten Ursachen für den Rückgang und die steigende Gefährdung von Tierpopulationen, was hier auch FFH-Gebiete und die in ihnen zu schützenden Tierarten massiv betrifft. Die von Ihnen, Herr Minister Vogel, befürchteten „negativen Folgen“ der ASP für die Schweinezüchter, die dem Zaun-Aktionismus offenbar zugrunde liegen, erscheinen demgegenüber nachrangig. Insbesondere wird nirgends erklärt, warum den Schweinehaltern nicht abverlangt werden kann, dass sie ihre Stallungen vor Ort selbst und auf eigene Kosten schützen (wie dies in Polen der Fall ist). Scheinbar sollen auch in diesem Fall wieder die Gewinne privatisiert, die Kosten und Risiken dagegen der Allgemeinheit und der Natur übertragen werden. Dies ist umso fragwürdiger, als gerade die industrielle Schweinehaltung aus ökologischen, sozialen, ethischen und gesundheitlichen Problemen höchst problematisch und eigentlich schon längst nicht mehr vertretbar ist; diese Auffassung vertritt nach Umfragen die deutliche Mehrheit der Bevölkerung. Wie sind dann aber die kostspieligen und folgenschweren ASP-Zäune politisch zu rechtfertigen?
Die aufgebauten Barrieren bestehen nicht nur aus den gängigen, 1,20 m hohen Knotengittern aus Stahldraht, die für die in Panik geratene Wildtiere zur tödlichen Falle werden, sondern auch teilweise aus 1,80 m hohen Bauzäunen, die selbst für Rehe und Wölfe oft eine unüberwindbare Barriere darstellen. Gleichzeitig könnten die Wölfe an nicht elektrifizierten Zäunen lernen, diese zu überwinden und damit, zum Leidwesen der Landwirte, zu einer größeren Bedrohung für bis-her „wolfssicher“ eingezäunte Nutztiere zu werden. Den ersten größeren Schafsriss-Vorfall (9 Schafe getötet) gab es hier schon auf einer „wolfssicher“ eingefriedeten Weide direkt an einem ASP-Zaun. Das lässt befürchten, dass die ASP-Zäune zu „Trainingseinheiten“ für die Überwin-dung bisher wolfssicherer Zäune werden. Die Geschädigten sind dann hier ausgerechnet diejeni-gen Landwirte, die ihre Tiere vorbildlich, naturschutz- und tierschutzgerecht im Freiland auf der Weide halten – zugunsten der Schweinemäster mit ihren Megaställen. Ist DAS grüne Politik?!
Naturschutzgebiete sind als Lebensräume vieler zum Teil streng geschützter Arten sensible Be-reiche, in denen Natur und Landschaft des besonderen Schutzes vor Störungen bedürfen. Ein massiver Eingriff, wie die Fragmentierung ihres Lebensraumes durch Zäune, darf dort nur unter bestimmten Vorrausetzungen, wenn überhaupt, vorgenommen werden. Eine Anfrage bei der Forst- und Biosphärenreservatsverwaltung ergab, dass selbst diese für Wälder und Schutzgebiete verantwortlichen Verwaltungen nicht befragt und beteiligt wurden, obwohl Schutzgüter stark betroffen sind und die Zäune gegen die Verordnung des Biosphärenreservats verstoßen, wonach nur „ortsübliche Weidezäune“ zulässig sind. Eigentlich hätte es deshalb doch ein Befreiungsverfahren von den Verboten der Verordnung geben müssen, bei dem neben der Reservatsverwaltung auch die Naturschutzverbände hätten gehört werden müssen. Dieses hat aber nicht stattgefunden, was umso schwerer wirkt, als Ziel, Konzept und Dauer der Maßnahmen überhaupt nicht kommuniziert werden. Eine Ankündigung oder gar Beteiligung der Bewohner und Flächenbewirtschafter hat es nicht gegeben, auf der Website des Landkreises Barnim finden sich keine Erklärungen und rechtfertigende Begründungen dazu. Trassenführung und Bauweise der Zäune wurden einfach ohne jede Abstimmung festgelegt und umgesetzt.
Unseres Erachtens fehlt vor allem auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, zumal die Wildschweine nur ein Glied der Übertragungskette und mit der Weiterverbreitung von einem Dutzend Kilometer im Jahr auch nicht der Infektionstreiber sind. Große räumliche Sprünge meistert der Erreger nachgewiesenermaßen vor allem durch Menschen und Fahrzeuge aus Infek-tionsgebieten, vielleicht auch durch Greifvögel und Kolkraben, die an Kadavern fressen und sich durch Zäune nicht aufhalten lassen. Auch die Eintragung der ASP in die Hausschweinbestände erfolgt fast zu 100 Prozent durch menschliches Handeln.
Priorität muss daher der Einsatz sämtlicher Mittel zur Unterbindung der Verbreitung der ASP durch den Menschen sein. Aus unserer Sicht wäre die Politik gefordert, verstärkt für präventive Maßnahmen zu sorgen, wie offensive und umfangreiche Aufklärung sowie Sensibilisierung bei Jägern, Schweinezüchtern, Verbrauchern etc., eine weitestgehende Verhinderung der Einfuhr von infizierten Schweinen, kontaminiertem Fleisch, Futtermitteln und Fahrzeugen, und vor allem Nachbesserung und akribische Einhaltung der Hygiene- und Biosicherheitsmaßnahmen in den Schweinebetrieben.
Aktuell wird offenbar „alles in Ihrer Macht stehende unternommen“, um die katastrophale Art der Fleischerzeugung vor der afrikanischen Schweinepest, die bekannterweise für Menschen und alle anderen Tiere außer Wild- und Hausschweinen unschädlich ist, zu schützen. Es ist nicht gerechtfertigt, wertvolle Lebensräume und Naturschutzgebiete zu zerschneiden mit gravierenden und nicht abschätzbaren negativen Auswirkungen auf Wildtiere und die heimische Natur. Das Landschaftsbild und das Landschaftserleben für die hier lebenden Menschen und Erholungsuchenden in der ohnehin mit ihren Zumutungen und Einschränkungen angespannten Pandemiezeit zu beeinträchtigen – und das auf Kosten der gesamten Gesellschaft einerseits und zugunsten der wirtschaftlichen Partikularinteressen einer einzigen Branche andererseits - kann nur als äußerst ungerecht erscheinen.
Sehr geehrte Frau Ministerin Nonnemacher,
sehr geehrter Herr Minister Vogel,
vor dem geschilderten Hintergrund des gravierenden Eingriffs in unseren Lebensraum bitten wir Sie nachdrücklich um Überprüfung der Rechtmäßigkeit und politischen Rechtfertigung der be-hördlichen Zaunbaumaßnahmen und deren schnellstmögliche Rücknahme. Das schulden Sie uns Bürger*innen, lokalen Bewohner*innen, Jäger*innen, Landwirt*innen, Steuerzahler*innen, Na-turschützer*innen, Naturliebhaber*innen und vor allem interessierten sowie demokratisch und kritisch denkenden Menschen.
Ihre Antwort und eine Handlungskorrektur erwarten wir vor der Setzzeit der Tiere, die das Problem nochmals verstärken wird.
Mit freundlichen Grüßen,
der Vorstand des Ökodorf Brodowin e.V.
mit
weiteren 70 Brodowiner Bürgern
2 Betreiberinnen des Wanderbird Kiosks und
2 Brodowiner Gästen