Station Fennweg

Naturschutzgebiet Plagefenn – Wildnis seit 1907


„Wo aber finden wir in einem
Kulturlande den Ort, wohin die Menschheit
nicht gekommen ist? Nirgendwo! Überall,
selbst in dem entlegensten, unzugänglichsten
Gebiet macht sich die menschliche Wirtschaft
in irgend einer Form geltend.
Aus diesem Verlangen, sich in das Anschauen
der unberührten Natur zu versenken ...,
ist der Gedanke entsprungen, Plätze zu schaffen,
an denen der einsame Wanderer
sich zurück versetzen kann in Urzeiten,
und sich ein Bild ausmalen,
wie es vordem aussah.“
Max Kienitz
1849–1931


Wer das Plagefenn betritt, wagt sich in die Wildnis! Das Plagefenn war 1907 das erste Naturschutzgebiet Preußens und das erste Gebiet im heutigen Deutschland, das eigens zur Entwicklung von Wildnis geschützt wurde. Hier entfaltet sich die Natur frei und vom Menschen möglichst unbeeinflusst – seit über 110 Jahren!

 

Angeregt hat die Unterschutzstellung damals der Leiter der Lehroberförsterei Chorin, Max Kienitz. Er schrieb: „Hier soll der Wald sein Leben leben.“ Es heißt, dass Max Kienitz bei der Jagd auf einen 14-Ender von dem prächtigen Tier und von der Stimmung, den Geräuschen und den Farben der Natur so tief beeindruckt war, dass er nicht nur den starken Rothirsch verschonte, sondern zudem anregte, die Natur in diesem Gebiet zu bewahren.

 

Die Wege des Bewahrens waren – wie die geschützte Wildnis selbst – wild und verschlungen. Sie sind ausführlich nachzulesen in der Festschrift „100 Jahre Naturschutzgebiet Plagefenn“ (Eberswalder Forstliche Schriftenreihe Band XXXI, Ministerium für Ländliche Entwicklung,

Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg 2007).

 

Auffallend ist heute, nach über 110 Jahren freier Entwicklung, das in großer Menge natürlich entstandene Totholz. Ob liegend oder stehend, mit oder ohne Rinde, besonnt oder schattig – Totholz steckt voller Leben! Hier ist der Tisch reichhaltig gedeckt für die Holzbewohner unter den

Pilzen, Käfern, Vögeln und vielen anderen Artengruppen.

 

Das Naturschutzgebiet Plagefenn besteht aus unterschiedlichen Zonen: Die Kernzone ist tatsächlich unbewirtschaftet und wild. In der Schutzzone 2 (Pflegezone) wird der Wald nachhaltig bewirtschaftet. Dabei achtet der Förster besonders darauf, auch hier einen möglichst naturnahen Wald mit Totholz und Höhlenbäumen zu erhalten. Das ist wichtig, weil die Kernzone allein für viele Tierarten zu klein ist. Auch die umgebenden Wirtschaftswälder müssen daher Lebensräume bieten.

Der Unterschied zwischen ungenutzter Kernzone und naturnahem Wirtschaftswald ist dennoch deutlich zu erkennen.

 

Als das Schutzgebiet 1907 eingerichtet wurde, umfasste es 177 ha, also knapp zwei Quadratkilometer. Mit der Ausweisung des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin wurde das Naturschutzgebiet auf 10,5 km2 erweitert. Die Fläche versechsfachte sich. Von diesen 1.055 ha

sind 280 ha unbewirtschaftete Kernzone. Die Kernzone besteht aus zwei Seen, dem Großen und Kleinen Plagesee, sowie aus angrenzenden Mooren, Erlenbruchwäldern und Buchenwald. Einige 1907 noch relativ junge Nadelholz-Aufforstungen entwickeln sich nun allmählich zu Buchen- und Laubmischwäldern. Die Kiefern, Fichten und Lärchen sterben nach und nach ab und werden zu

Totholz, während die Laubbäume das Regiment übernehmen. Nur in den Torfmoosmooren kommen Kiefern auch natürlicherweise vor. Hier werden sie jedoch nie alt und groß, weil ihre Wurzeln im Moor keinen ausreichenden Halt finden. Sie kippen allmählich um und werden im Moorkörper konserviert

 

Der Begriff „Fenn“ bezeichnet übrigens im niederdeutschen Raum eine morastig-sumpfige Niederung oder ein Moor. In Brandenburg wurden meistens eher nährstoffarme Moore mit Torfmoosen mit diesem Begriff belegt.


Aus: Das Plagefenn, ein Naturdenkmal

„Ich lernte das Gebiet im Winter 1888/89 kennen, die schwimmende Decke im Fenn war an den meisten Stellen fest gefrohren und bei einiger Vorsicht ging man trockenen Fußes über den schwankenden Boden.

 

Im Juni des nächsten Sommers wiederholte ich den Besuch, ich war allein und hatte die Büchsflinte auf dem Rücken, 37 Jahre sind seitdem vergangen, und doch leben die Eindrücke, die ich damals empfing, noch deutlich in meinem Gedächtnis. Hell schien die Sonne, drückende

Schwüle lag über dem nassen Grunde. Wo ich den tastenden Fuß auf den hellgrünen Moosteppich setzte, sank er bis an den Knöchel ein und Wasser füllte die flache Vertiefung, die mein Körpergewicht auf der Oberfläche des elastischen Bodens eindrückte. Auf den Moospolstern zwischen den kümmernden Ruchbirken und Kiefern zeigte sich ein meist spärlicher Bestand von niedrigen Gewächsen, unter welchen der Kienporst, die zierliche Andromeda, die blühenden Ranken der Moosbeere, der Sonnentau nicht gerade häufig sich zeigten, während die weißen Büschel des Wollgrases das einfache Bild angenehm belebten.

 

Ein betäubender Duft, herrührend von dem Kienporst, den Kieferntrieben, hauptsächlich aber von der Balsamaussonderung der Härchen der weichhaarigen Birke, füllte die Luft, und obwohl kein Lüftchen wehte, wurde das Gehör berührt von den feinen, scharf schneidenden Tönen, welche die Blätter der einzeln stehenden Schilfrohrhalme im Hin- und Herschwanken erzeugten. Sonst ertönte kein Laut, selbst der geschwätzige Häher und der kreisende Bussard schwiegen. Der Sinne schien ich beraubt. Um mich sehen konnte ich nicht, die spärliche Baum- und Schilfvegetation hemmte den Fernblick, das Gehör war durch das leise Rauschen betört, der aromatische Duft drohte mich zu betäuben, der tastende Fuß fand keinen festen Boden und schwankend wandelte ich ziellos vorwärts. Ein Gefühl unendlicher Verlassenheit beschlich mich. Um es zu bannen, wandte ich mich eiligst dem Buchenwald auf dem festen Uferrand zu.

 

Unser waldkundigster Dichter, Victor Scheffel, kennt solche Stimmungen. Er läßt Wolfram von Eschenbach, den schwertkündigen Sänger, auf einem nächtlichen Abenteuerritt die Gedanken, die ihn verfolgen kundtun: „Furcht kenn ich nicht, doch kalt, unheimlich Grauen Hat sich der Seele wie ein Alb genaht, Und nimmer, nimmer möcht ich rückwärts schauen, Denn fremde Geister spür ich auf dem Pfad.“

 

Dem munteren, übermutigen Wanderer aber, der das Gruseln kennen lernen will, rate ich an, er gehe in das Plagefenn, unter der Junisonne, allein, nicht in lärmender Gesellschaft, und ich verspreche ihm, er wird Gespenster sehen am hellen Mittag, wenn er irgend Verständnis hat für diese Wesen, die aus der Vorzeit in dem nordischen Gebiet zurückgeblieben sind.

 

Oft streifte ich seitdem durch das Fenn, allein oder in Gesellschaft, manche anregende  Beobachtung konnte ich machen, mit den Gespenster habe ich mich angefreundet.“

 

Publikation des Angermünder Heimatvereins (um 1927) von Dr. Max Kienitz,

Forstmeister i. R.